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Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) – Haftung für Spielgerätesteuern

Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) – Haftung für Spielgerätesteuern

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Das Urteil des VG Hannover – 7 A 43/22 – enthält wichtige Hinweise für die kommunale Verwaltungspraxis bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen und der Haftungsinanspruchnahme von Geschäftsführern wg. Abgabenhinterziehung.


Zum Sachverhalt:

Der Kläger wendete sich gegen einen Haftungsbescheid der Beklagten, mit dem er für ausstehende Spielgerätesteuern der X-GmbH in Höhe von über 2 Millionen Euro in Anspruch genommen wird. Es wurden Auslesestreifen manipuliert und Steuererklärungen nicht (wahrheitsgemäß) abgegeben. Mangels hinreichender Mitwirkung musste die Besteuerungsgrundlage geschätzt werden. Die Steuerfahndung konnte anhand von Chatverläufen zwischen Angestellten tatsächliche Erlöse zu den Jahren 2017 bis 2019 nachvollziehen. Auf der Grundlage dieser Daten wurden die Zahlen für 2012 ff. geschätzt. Die Beklagte machte sich die Schätzung der Steuerfahndung zunächst zu eigen. Der Kläger wurde zwischenzeitlich vom Landgericht verurteilt. Die Verurteilung wurde jedoch nicht auf die Schätzung gestützt, da mit dieser nicht ausreichend objektive Anhaltspunkte vorlagen, um die Einlassungen des Klägers in der Hauptverhandlung zu widerlegen (z.B. deutlich übersetzte Umsätze; längere Öffnungszeiten ab 2017). Vorsorglich wurde deshalb – im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht – die Schätzung mittels Daten zu einer Vergleichsspielhalle ergänzt.


Vom Verfasser formulierte Leitsätze:

1. Bei unrichtigen oder unvollständigen Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen ist eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO (i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) NKAG) zulässig, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichende Aufklärung zu geben vermag.

2. Eine Finanzbehörde darf auf der Grundlage von tatsächlichen Verkürzungsberechnungen eine prozentuale Verkürzung der Vorjahre vornehmen, wenn ausreichende Anknüpfungstatsachen für eine tragfähige Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vorliegen. Dabei darf die Finanzbehörde (auch) auf Daten zu einer Vergleichshalle zurückgreifen.

3. Bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen ist es zulässig, wenn die Finanzbehörde den Umfang der Amtsermittlung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung auf die Einsicht in die Stellungnahme der Steuerfahndung und auf die Einsicht in die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft begrenzt. Ein solches Vorgehens ist zulässig, da im Wesentlichen auf tatsächliche Ermittlungsergebnisse zurückgegriffen wird.

4. Bei der Übertragung von Erwägungen aus einem landgerichtlichen Urteil ist zu beachten, dass der rechtliche Hintergrund eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ein anderer ist als der eines strafrechtlichen: Anders als das Landgericht muss die Finanzbehörde dem Haftungsschuldner keinen Vorsatz und keine Schuld nachweisen, sondern darf sich des Instruments der Schätzung bedienen.

5. Anders als im Strafrecht ist im Abgabenrecht auf die 10-jährige Festsetzungsfrist des § 69 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AO abzustellen und nicht auf die 5-jährige Verjährung nach § 16 NKAG i.V.m. § 78 StGB.


Anmerkung des Verfassers:

Das Urteil enthält wichtige Hinweise für die kommunale Verwaltungspraxis bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen und der Haftungsinanspruchnahme von Geschäftsführern wg. Abgabenhinterziehung. Das Gericht bestätigt, dass die Finanzbehörde den Umfang der Amtsermittlung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung grundsätzlich auf die Einsicht in die (zusammenfassende) Stellungnahme der Steuerfahndung und die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft begrenzen darf. Wichtig ist jedoch, dass die Verwaltung trotz Rückgriffs auf diese Quellen eine eigene Schätzung vornimmt und die Voraussetzungen der Haftung selbst hinreichend würdigt. Dabei ist stets der unterschiedliche rechtliche Hintergrund zwischen abgabenrechtlichen und strafrechtlichen Verfahren im Blick zu behalten und die strafrechtliche Würdigung nicht kritiklos 1:1 zu übernehmen. Die Entscheidung zeigt ferner wie hilfreich es sein kann, bei der Inhaftungnahme eines Geschäftsführers wegen Spielgerätesteuerschulden der Gesellschaft auf Daten zu einer Vergleichsspielhalle zurückgreifen zu können. Die Vergleichsspielhalle diente als Beleg dazu, dass die geschätzten Einspielergebnisse durchaus realistisch und erzielbar waren und dass die vom Kläger angeführten äußeren Umstände (wie Lage, Sperrzeiten, Rauchverbot) auch auf diese zutrafen und somit keine Erklärung für angeblich überhöhte Schätzungen liefern. Dabei ist es zulässig, dass – wie hier – eine Schätzung erst im gerichtlichen Verfahren entsprechend konkretisiert wird.

Verfasst von:

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