Mit Urteil vom 18.12.2023 – 12 A 4154/21 – entschied das VG Hannover zugunsten meines Mandanten, dass über die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB grds. die Vertretung, hier: der Rat, zu entscheiden hat. Entsprechend hatte die Klage erfolg.
I. Zum Sachverhalt
Der Kläger wendete sich gegen die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts auf der Grundlage von § 24 Abs. 1 Nr. 5 BauGB. Nach dieser Vorschrift steht der Gemeinde ein Vorkaufsrecht zu beim Kauf von Grundstücken im Geltungsbereich eines Flächennutzungsplans, soweit es sich um unbebaute Flächen im Außenbereich handelt, für die nach dem Flächennutzungsplan eine Nutzung als Wohnbaufläche oder Wohngebiet dargestellt ist. Die Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgte auf der Grundlage folgender Beschlüsse:
Bereits vor Kaufvertragsabschluss vom 02.11.2020 hatte der Rat der Beklagten mit Beschluss vom 14.09.2020 entscheiden, dass das Flurstück „nach Möglichkeit im Rahmen des Vorkaufsrechts“ erworben werden sollte, dass die Kosten für einen möglichen Grunderwerb – zusammen mit dem Erwerb für ein weiteres Grundstück zu insg. 221.000,- Euro – im Nachtragshaushalt bereitgestellt würden und dass „über die tatsächliche Ausübung des Vorkaufsrechts … der Verwaltungsausschuss zu entscheiden“ habe. Am selben Tag hatte der Rat der Beklagten auch die 1. Nachtragshaushaltssatzung 2020 beschlossen. Im zugehörigen Nachtragshaushaltsplan waren unter der „Buchungsstelle 52.1.01/5005.7821000 Auszahlung für den Erwerb von Grundstücken und Gebäuden“ 267.000,- Euro veranschlagt worden. Weiterhin enthielt der Nachtragshaushaltsplan den konkretisierenden Hinweis „Mittel für Grunderwerb I., DS 305/2019, Ratsbeschluss vom 17.02.2020, Erwerb Baulandreserve“. Nach Anzeige des Kaufvertragsabschlusses durch den Notar vom 05.11.2020 (der tatsächliche Kaufpreis lag über dem im Beschluss vom 14.09.2020 angenommenen) beschloss der Verwaltungsausschuss der Beklagten, dass die Verwaltung beauftragt werde, das Vorkaufsrecht für die Flurstücke 273/1 und 272 der Flur 1 der Gemarkung G. auszuüben, und dass die zusätzlich erforderlichen Mittel in Höhe von 54.000 Euro im Haushalt 2021 bereitgestellt würden. Am 14.12.2020 beschloss der Rat der Beklagten die Haushaltssatzung 2021 und den zugehörigen Haushaltsplan.
II. Zur rechtlichen Würdigung
Das VG Hannover entschied zugunsten des Klägers. Es hielt den angefochtenen, das Vorkaufsrecht ausübenden Bescheid für rechtswidrig, weil dem ein rechtswidriger Beschluss des nicht zuständigen Verwaltungsausschusses der Beklagten zugrunde lag. Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 14 NKomVG beschließt die Vertretung – hier der Rat – ausschließlich über die Verfügung über Vermögen der Kommune, insbesondere Schenkungen und Darlehen, die Veräußerung oder Belastung von Grundstücken und die Veräußerung von Anteilen an einer Gesellschaft oder anderen Vereinigung in einer Rechtsform des privaten Rechts, ausgenommen Rechtsgeschäfte, deren Vermögenswert eine von der Hauptsatzung bestimmte Höhe nicht übersteigt. Die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts stellt nach der Ansicht der 12. Kammer eine solche Verfügung über Vermögen der Kommune dar. In der Entscheidung heißt es:
„Das gemeindliche Vorkaufsrecht wird zum Ankauf eines Grundstücks ausgeübt und auch der Ankauf eines Grundstücks – obwohl nur die Veräußerung und die Belastung explizit genannt sind – stellt eine Verfügung über das Vermögen der Kommune dar […], mit der das Sachvermögen der Kommune um den konkreten Kaufgegenstand vermehrt und zugleich das Geldvermögen der Kommune reduziert wird. Die zum Oberbegriff „Verfügung über das Vermögen der Kommune“ genannten Beispielsfälle führen nicht zu einer Eingrenzung oder Konkretisierung der Zuständigkeit. Die Aufzählung ist weder abschließend noch hat sie die Funktion einer Benennung von Regelbeispielen, da weder nach der Art der Geschäfte noch nach der Bedeutsamkeit eine Regel zu erkennen ist […]. Die Vorschrift unterscheidet auch nicht zwischen vermögensmehrenden und vermögensmindernden Verfügungen […], weshalb der Hinweis der Beklagten auf den Zugewinn des Grundstücks, welches im Falle der Ausübung des Vorkaufsrechts erlangt wird, ins Leere geht. Vielmehr meint der Begriff der Verfügung jede körperschaftsinterne verbindliche Entscheidung über die rechtsgeschäftliche Veränderung des Vermögens der Kommune und auch nicht lediglich sachenrechtliche Verfügungsgeschäfte im Sinne des Zivilrechts […]. Soweit in der Literatur demgegenüber teilweise vertreten wird, § 58 Abs. 1 Nr. 14 NKomVG betreffe nur Verfügungen über das Sachvermögen der Kommune, da die Vertretung der Kommune über die Verwendung der Haushaltsmittel bereits mit dem jeweils gültigen Haushaltsplan entschieden habe […], überzeugt diese Auffassung die Kammer nicht. Der Wortlaut des § 58 Abs. 1 Nr. 14 NKomVG ist umfassender und eine einschränkende Auslegung ist weder von der Systematik noch vom Zweck der Norm gedeckt. Etliche der Entscheidungen, die nach § 58 Abs. 1 NKomVG in die ausschließliche Zuständigkeit der Vertretung fallen, setzen die Bereitstellung von Haushaltsmitteln voraus, wie beispielsweise die Errichtung, Gründung, Übernahme und wesentliche Erweiterung von Unternehmen, von kommunalen Anstalten und von Einrichtungen im Rahmen des Wirtschaftsrechts (Nr. 11), die Beteiligung an Gesellschaften und anderen Vereinigungen in einer Rechtsform des privaten Rechts (Nr. 12), die Vergabe von Darlehen (Nr. 14) und die Übernahme neuer freiwilliger Aufgaben (Nr. 19). Würde der Beschluss der Vertretung über den Haushaltsplan ausreichen, wären alle diese Zuständigkeitsregelungen überflüssig. Dazu zielt § 58 Abs. 1 NKomVG erkennbar darauf ab, dass die wesentlichen Entscheidungen über das Vermögen der Kommune – oberhalb einer festzulegenden Bagatellgrenze – durch die Vertretung getroffen werden, woraus zwingend folgt, dass auch über die konkrete Verwendung der Gelder, die in den Haushaltstiteln abstrakt zur Verfügung gestellt werden, die Vertretung – der Rat – zu entscheiden hat.“
Auch das Argument der Beklagten, der Rat habe mit seinem Beschluss vom 14.09.2020 bereits die maßgebliche Entscheidung über das „Ob“ der Ausübung des Vorkaufsrechts getroffen, hielt die Kammer nicht für überzeugend:
„Der Rat hatte gerade nicht entschieden, dass das Vorkaufsrecht zu jedweden Konditionen ausgeübt werden sollte. Er hatte lediglich beschlossen, dass die betroffenen Grundstücke „nach Möglichkeit“ im Rahmen des Vorkaufsrechts erworben werden sollten und die Entscheidung „über die tatsächliche Ausübung des Vorkaufsrechts“ an den Verwaltungsausschuss delegiert. Auf der Grundlage dieses Beschlusses hätte der Rat den Bürgermeister nach der Anzeige der Kaufverträge nicht zur Ausübung des Vorkaufsrechts anweisen können.“
Nach der Ansicht der Kammer konnte der Rat seine Entscheidungsbefugnis auch nicht rechtmäßig auf den Verwaltungsausschuss übertragen:
„Dem Beschluss des Rates vom 14.09.2020, dass über die tatsächliche Ausübung des Vorkaufsrechts der Verwaltungsausschuss entscheiden solle, fehlte es an der gesetzlichen Grundlage. Nach dem Vortrag der Beklagten hatte der Rat den Beschluss getroffen, weil zu befürchten gewesen sei, dass die Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts von zwei Monaten nach Mitteilung des Kaufvertragsschlusses nicht eingehalten würde, da der Rat nur alle zwei bis drei Monate zusammenkomme. Auch diese Sorge um die drohende Versäumung der Frist des § 28 Abs. 2 BauGB eröffnete jedoch keine Möglichkeit, die gesetzlichen Zuständigkeiten zu ändern. Vielmehr ist eine Übertragung von Zuständigkeiten nach § 58 Abs. 1 NKomVG auf ein anderes Organ der Kommune ausgeschlossen […]. Aus dem Umstand, dass dem Rat per Gesetz Zuständigkeiten zugewiesen sind, folgt, dass diese Zuständigkeiten auch nur aufgrund gesetzlicher Ermächtigung delegiert werden dürfen […]. Eine solche Ermächtigung findet sich allerdings nur in § 58 Abs. 1 Nr. 14 NKomVG a.E. („ausgenommen Rechtsgeschäfte, deren Vermögenswerte eine von der Hauptsatzung bestimmte Höhe nicht übersteigt“) und in § 58 Abs. 5 NKomVG, der – hier nicht einschlägige – Befugnisse betrifft, die in § 58 Abs. 4 NKomVG geregelt sind. Der Vorschlag, sämtliche in § 58 Abs. 1 NKomVG aufgeführten Zuständigkeiten des Rates als übertragbar zu normieren, hatte sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen können […].“
Weiter, so die Kammer, hatte der Rat auch nicht bereits im Rahmen des Haushaltsplans der Beklagten in ausreichender Weise über die Ausübung des Vorkaufsrechts entschieden:
„Zwar bedarf es keines weiteren Beschlusses des Rates einer Kommune nach § 58 Abs. 1 Nr. 14 NKomVG, wenn der Rat mit dem Haushaltsplan bereits dem Grunde und der Höhe nach seine Zustimmung zu einer rechtsgeschäftlichen Verfügung über das Vermögen der Kommune erteilt hat, so dass nur noch der haushaltsmäßige Vollzug der bereits getroffenen Entscheidung verbleibt […]. Notwendig ist in jedem Fall jedoch, dass im Haushaltsplan die ausgewiesene Vermögensverfügung ausreichend konkretisiert ist, da anderenfalls die ausschließliche Zuständigkeitszuweisung des § 58 Abs. 1 NKomVG für sämtliche Vermögensverfügungen ausgehebelt würde, für die im Haushaltsplan der Kommune abstrakt Geld bereitgestellt worden ist. Dementsprechend bedarf es im Falle eines Grundstückskaufs dafür im Haushaltsplan einer Ausweisung des konkreten Kaufgegenstands und des konkreten Kaufpreises […].“
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
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