Mit Urteil auf die mündliche Verhandlung vom 25.06.2024 entschied das Verwaltungsgericht Hannover zu Gunsten meiner Mandanten und verpflichtete zur Erteilung eines Bauvorbescheids für ein Einfamilienhaus. Strittig war insb., ob Baufluchtlinien i.S. eines Fluchtlinienplans Baugrenzen oder Baulinien i.S.d. § 23 BauNVO darstellen (die Vorschrift regelt die überbaubare Grundstücksfläche) und ob sich das Vorhaben in die nähere Umgebung einfügt (§ 34 BauGB).
Meine Mandanten begehrten die Erteilung einer Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus in „2. Reihe“. Die Beklagte lehnte dies ab, weil das Bauvorhaben gegen die Festsetzungen eines Fluchtlinienplans verstoße und sich i.Ü. nicht in die nähere Umgebung einfüge. Das einzige in Betracht kommende Vorbild sei als „Ausreißer“ zu behandelt. Eine Begründung, die der Erteilung einer Baugenehmigung nicht selten entgegengehalten wird. Die 4. Kammer ist dem nicht gefolgt.
In Niedersachsen, insb. in Hannover, gibt es noch Fluchtlinienpläne. Deren Festsetzung findet ihre Rechtsgrundlage im Preußischen Fluchtliniengesetz. Festgesetz werden insb. Straßen- und Baufluchtlinien. Voraussetzung für deren Anwendbarkeit ist insb. eine wirksame Überleitung nach § 173 Abs. 3 BBauG 1960. Bei einer wirksamen Überleitung gelten Fluchtlinienpläne als Bebauungspläne fort, soweit sie verbindliche Regelungen in § 9 BBauG bezeichneter Art enthalten.
Eine wirksame Überleitung unterstellt ist – wie hier – ein regelmäßiger Streitpunkt die Frage, ob Baufluchtlinien mit Baugrenzen oder Baulinien i.S.d. § 23 Abs. 2, 3 BauNVO gleichzustellen sind. Baugrenzen dürfen überschritten werden, an Baulinien ist „anzubauen“. Die Kammer entschied zu Gunsten meiner Mandanten. Nach der Ansicht der Kammer ist die Baufluchtlinie einer Baugrenze gleichzustellen; rückwärtige Bebauung ist demnach zulässig. Da die Planvorgänge während der Kriegswirren verloren gingen, war es nicht möglich, diesen zu entnehmen, was der Plangeber gewollt hat. Allerdings konnte den Festsetzungen selbst das Gewollte hinreichend deutlich entnommen werden. Aufgrund der Festsetzung „Vorgarten“ für den Bereich zwischen der Straßenfluchtlinie und der Baufluchtlinie ist deutlich, dass mit der Baufluchtlinie (lediglich) die Anlage von Vorgärten bezweckt ist. § 6 Abs. 3 Bauordnung für den Bezirk der Hauptstadt Hannover vom 31.03.1930 steht dem nicht entgegen (näheres dazu: s. die Entscheidungsgründe).
Da die Festsetzungen des Fluchtlinienplans der beabsichtigten Bebauung nicht entgegenstanden war als nächstes die Frage zu klären, ob sich das Vorhaben in die nähere Umgebung einfügt (§ 34 BauGB). Im Rahmen einer Ortsbegehung gewann die Kammer den Eindruck, dass dies der Fall ist. Insb. wurde ein wesentliches Vorbild nicht als Fremdkörper eingestuft.
Der ursprünglich auf Erteilung einer Baugenehmigung gerichtete Antrag wurde auf Erteilung eines Bauvorbescheids geändert, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht alle Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung vorlagen, sog. steckengebliebenes Genehmigungsverfahren.
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